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Ein Besuch im Verkehrshaus Luzern

  • Autorenbild: Franz Stadelmann
    Franz Stadelmann
  • 8. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

Wer kennt sie nicht, die Gotthard-Eisenbahnanlage im Verkehrsmuseum Luzern? Sie wurde revidiert und ist nun wieder zugänglich. Während in früheren Jahren die Gotthard Anlage eine der Hauptattraktionen im VHS war und von vielen Schulklassen besucht wurde, ist das Exponat leider nicht einmal im Flyer verzeichnet, der beim Eintritt abgegeben wird.


Als Kind verbrachte ich intensive Momente mit staunenden Augen beim Anblick dieser Anlage. Die Bilder haben sich eingraviert, obwohl über ein halbes Jahrhundert alt. Weitere Besuche vertieften diesen Eindruck. Die Gotthardbahn war Grund und Höhepunkt eines jeden Besuchs im Verkehrshaus. Nach 60 Jahren im Verkehrshaus war ein update notwendig – oder ein Abbruch. Das war 2020 mitten in Corona-Zeiten. Zum Glück setzten sich Modellbähnler für die Erhaltung der Anlage ein. Die Idee: aus dem bisherigen U ein langestecktes I zu machen. Früher wanderte man um die Berge herum, jetzt geht man ihnen entlang. Aus 6 x 13 Metern wurden 31,5 x 3,5 Meter. Eingeweiht im Juni 2025. Die Diva des Schweizer Modellbaus wurde entstaubt, technisch erneuert und digitalisiert, Altes beibehalten. Bewusst wurde auch die Autobahn durchs Urnerland nicht eingebaut, weil es sie in den 1950ern noch nicht gab. Die Anlage vermittelt den Eindruck einer heilen Schweiz. Stehen gebliebene Zeit der 50er Jahre. Vielleicht ist das gewollt. Die Anlage erhielt ein technisches update, aber kein inhaltliches. Die Postautos, die Autos, Häuser und Bahnhöfe spiegeln jene Zeit. Die Züge hingegen sind neueren Datums, sogar Kompositionen von Stadler. Die transportierten Container sind aus der heutigen Zeit. Fast anachronisch wirkt, wenn sich ein alter Saurer Haubenlastwagen von Wolf Chur die Bergstrasse hochquält.

Die Humanlandschaft der Gotthard-Anlage wirkt etwas ältlich. Dies ergibt einen widersprüchlichen Eindruck, wenn der Hupac-Zug mit Lastwagen der jetzigen Zeit, Galliker, Häfliger, Planzer, Traveco durch Szenen fährt, als Galliker noch in Luthern Bad seine wenigen Lastwagen koordinierte und Planzer um Denner-Transportaufträge kämpfte. Häfliger war vor 70 Jahren nur ein kleines Carunternehmen in Sursee und Traveco gab es noch nicht.

Doch die einstige Magie ist durch den Umbau verflogen. Es ist noch immer eine Anlage mit dramatisch gut gebauten Bergen und Felsen im Urnerland. Es fehlt aber eine spielerische Komponente. Die Faszination ist verloren gegangen. Natürlich ist es schön, ein Doppelgespann-Krokodil zu sehen oder die moderne Lok von Zugkraftbau zu beobachten. Die Einsicht in die sechs Schattenbahnhöfe ist neu, das war früher nicht und gibt Eindruck in das Innenleben dieser Anlage. Hier sieht man die Züge warten, man sieht sie starten. Über ein Dutzend Ringe, auf denen sich die Züge hochschrauben. Die Luftseilbahn Intschi-Arnisee kam neu dazu, aber sie läuft nicht. Wohl findet bei der Talstation ein Holzverlad statt, aber die Szene bleibt irgendwie undramatisch. Wanderer gehen zur Bahnstation, die roten Kabinen hängen in der Luft. Die Szene wirkt steril und langweilig. Zu Füssen der Talstation, vielleicht als einziges dramatisches Element, wird ein Auto, das vor einer Brücke fast in die Schlucht gefallen wäre, gesichert und herausgezogen wird. Dazu regelt ein Polizist den Verkehr. Hier wird eine kleine Geschichte erzählt. Aber es ist eine Geschichte so trocken wie ein Polizeirapport. Diese Szene fand sich übrigens schon auf der alten Anlage. Neu ist der Gotthardbasistunnel: eine durchsichtige Plastikröhre. Zum Zeitpunkt des Besuchs jedoch ohne Zugdurchfahrt. Die Besucher werden mit Eisengittern auf Abstand gehalten. Auf der Ebene vor der Anlage muss es für Kinder frustrierend sein, weil sie noch weniger sehen als die Erwachsenen. Vieles bleibt verborgen, man muss tatsächlich oben auf die Galerie gehen und dann von 6-7 Metern auf die Anlage hinunterschauen, um Details zu sehen. Wohl gibt es ein paar Rehe im Wald und weidende Kühe auf der Alm. Die Dramatik würde in die heutige Zeit gebracht, wenn hier ein Wolf in der Nähe lauern würde. Aber als die Anlage gebaut wurde, gab es keine Wölfe in der Schweiz.

Zwei, drei Wohnwagen mühen sich im Stil der 50er Jahre den Berg hoch. Die fünfspännige Gotthardpost macht sich gut, aber sie ist etwas versteckt. Eigentlich lebt diese Anlage nicht, es verkehren zu wenige Züge und die Szenen sind zu steril. Zudem ist die Anlage für Kinder schwer einsehbar. Natürlich ist es leicht zu sagen, dass früher alles besser war. Die Gratwanderung zwischen Erhaltung von Altem und einer Neuinterpretation muss bei den Restaurierungsarbeiten schwierig gewesen sein. Die Erinnerung, als man um den Berg herumlief, ist interessanter, als jetzt entlang der gestreckten Anlage zu gehen. Auch die jetzige Anlage kann man umrunden: vorne die Szenen und Berge, hinten die Schattenbahnhöfe. Die Anlage wirkt erstaunlich tot, die glänzenden Kinderaugen, die man auf anderen Anlagen sieht, fehlen hier. Das Gotthardmodell des Verkehrsmuseums ist wohl die Mutter aller Modellanlagen in der Schweiz und jetzt ist sie vielleicht zur Grossmutter mutiert, die man gern betrachtet, die aber eigentlich nicht mehr fasziniert ist, wie zum Beispiel die Anlage am Rheinfall. Hier in Luzern spielen sich nur wenige Szenen ab, in die man Geschichten hineininterpretieren kann. Da ist zwar eine Reifenpanne, so langweilig wie sie eben in den 50er Jahren war. Hier wird Holz verladen und dort ein Fest gefeiert. Die Szenen vermitteln kein aktives Leben. Die Grand Old Lady der Eisenbahnanlagen ist jetzt an die Wand der Halle gedrückt, gestreckt. Sie strahlt noch immer. Eine alte Schönheit, vor allem die gut modellierten Felsen. Das ist ganz hohe Modellbau-Kunst. Aber es verkehren zu wenig Züge, es ist zu wenig Leben in der Anlage. Die kleinen Szenen, zum Beispiel ein Gesangsverein oder eine Hochzeit bei der Kirche zu Wassen genügen nicht, um Geschichten innerhalb der Anlage zu erzählen. Es fehlt die Liebe zum erzählerischen Detail. Es sind wohl alte Männer, die diese Bahn in alter Manier und technisch perfekt restauriert haben und nicht den Witz, Spontanität und Möglichkeiten von neuen Anlagen eingebaut haben. Den Modelleisenbahnbauern fehlt wirklich der Nachwuchs. Das revidierte Gotthardmodell ist eine traditionelle Eisenbahnanlage, die auch funktioniert. Doch fast ein bisschen steril, leblos und das ist natürlich schade für diese Grand Old Lady, die das Vorbild von Modellbauern während Jahrzehnten war. Geplant ist, dass die Anlage mit dem Südportal erweitert und mit Szenen der jetzigen Zeit ausgestattet wird.


 
 

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